Warum jeder Osteopath die Placeboeffekte verstehen sollte: Eine verborgene Kraft der Heilung

Placeboeffekte werden in klinischen Kreisen oft missverstanden, unterschätzt oder sogar abgetan. Doch in der Osteopathie und anderen manuellen Therapien – wo die menschliche Verbindung im Mittelpunkt steht – ist das Placebo nicht nur ein Nebeneffekt. Es ist ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit, durch den wir unseren Patient*innen helfen, sich besser zu fühlen.

In unserem kürzlich erschienenen narrativen Review haben mein Kollege David Hohenschurz-Schmidt und ich (Torsten Liem) dieses Phänomen ausführlich untersucht:

Placeboeffekte in der Osteopathie und anderen manuellen Therapien – was sie sind und warum sie für die klinische Praxis, Ausbildung und Forschung relevant sind.

Was sind Placeboeffekte wirklich?
Placeboeffekte sind reale, messbare Verbesserungen von Symptomen – ausgelöst durch Erwartungen, Lernmechanismen und den Behandlungskontext – von den Worten, die wir verwenden, bis hin zur Umgebung, in der wir arbeiten. Und entscheidend: Diese Effekte treten unabhängig davon auf, ob die spezifische Behandlung „aktiv“ ist oder nicht.

Das Gegenteil ist ebenfalls wahr: Wenn Patient*innen Schmerzen oder Misserfolg erwarten, können sogenannte Noceboeffekte die Symptome verstärken.

 

 

Diese Veränderungen sind nicht eingebildet. Neurophysiologische Studien zeigen, dass Placebo- und Nocebo-Mechanismen die Schmerzverarbeitung, Immunfunktionen, emotionale Zustände und mehr beeinflussen.

Warum ist das für Osteopath*innen so wichtig?
Weil manuelle Therapie per se zwischenmenschlich und kontextabhängig ist. Alles, was wir tun – unser Tonfall, unsere Präsenz, die Atmosphäre – trägt zum Behandlungsergebnis bei. Patient*innen reagieren nicht nur auf Techniken, sondern auch auf die Bedeutung, die sie diesen Techniken beimessen.

Das macht uns besonders geeignet, das positive Potenzial von Placeboeffekten auf ethische und evidenzbasierte Weise zu nutzen.

Ein Aufruf zum Handeln für die osteopathische Profession

Unsere Analyse gibt mehrere Empfehlungen:

  • Klinische Praxis: Verfolgen Sie einen personenzentrierten, biopsychosozialen Ansatz, der bewusst positive Erwartungen und Vertrauen fördert.

  • Ausbildung: Integrieren Sie das Wissen über Placebo- und Noceboeffekte in die osteopathische Ausbildung, damit künftige Therapeut*innen dieses gezielt einsetzen können.

  • Forschung: Entwickeln Sie Studien, die kontextuelle Heilmechanismen besser erfassen – über die isolierten Wirkungen einzelner Techniken hinaus.

Wenn 74 % der Patient:innen in einer großen britischen Umfrage angeben, sich nach osteopathischer Behandlung „deutlich verbessert“ oder sogar „vollständig genesen“ zu fühlen, dann schulden wir es uns selbst – und unseren Patientinnen –, alle Wirkmechanismen hinter diesem Erfolg besser zu verstehen.