Hastige, flache Atmung, Verkrampfen der Muskeln, erhöhter Blutdruck: Solche typischen Stressreaktionen sind unwillkürlich, doch der Organismus kann lernen, sie zu regulieren. Dafür sprechen Studien; sie zeigen zudem, dass der Vagusnerv dabei eine wichtige Rolle spielt. Die hier genannten Techniken und Maßnahmen können helfen, den Vagusnerv zu aktivieren und Überreaktionen des Sympathikus zu dämpfen:
- Tiefe und verlangsamte Atmung mit oder ohne HRV (Herzratenvariabilität)-Feedback. Die HRV bezeichnet die Fähigkeit des Herzens, mit einer Veränderung der Schlagfrequenz auf unterschiedliche Belastungssituationen zu reagieren. Handy-Apps und Wearables (tragbare Körperfunktions-Messgeräte, z. B. in Sportuhren) können die HRV messen und mittels Biofeedback Hinweise zur Atemregulation geben.
- Atem- und Reinigungstechniken aus dem Yoga.
- Autogenes Training, Yoga und Tai Chi.
- Meditation. Ein Beispiel: die traditionelle »Liebende-Güte-Meditation«, die positive Gefühle gegenüber sich selbst und anderen stärken soll, aktiviert offenbar den Vagusnerv und löst damit indirekt Entspannungsreaktionen aus, wie z.B. das Absinken des Blutdrucks. Diese Effekte waren messbar bei Versuchspersonen, die nach der Meditation tatsächlich mehr Lebensfreude und Verbundenheit mit anderen spürten. Vermutet wird, dass die Aktivierung des Vagusnervs auch über eine tiefe Atmung während der Meditation geschieht.
- Alle Maßnahmen, die zu einem Anstieg von Oxytocin (und Vasopressin) führen, wie Massage und Berührungen.
- Singen, Summen, Mantrasingen: Singen erhöht die HRV bei gesunden 18-jährigen Frauen und Männern. Allerdings wurde dies bisher nur in einer einzigen Studie untersucht. Dabei sollen Summen, Hymnen- und energetischer Gesang sowie Mantrasingen die HRV jeweils auf leicht unterschiedliche Weise ansteigen lassen. Auch das Chanten des Mantras »Om« aktiviert den Vagus. Die Autoren vermuten, dass dies möglicherweise durch Stimulation seiner Äste in den Ohren geschieht. Sowohl Mantra als auch Gebetsrezitationen im Atemrhythmus bewirkten bei einer Untersuchung an 23 Erwachsenen eine Steigerung der bestehenden Herz-Kreislauf-Rhythmen und der HRV sowie eine Senkung des Blutdrucks. Singen soll außerdem die Ausschüttung von Oxytocin auslösen.
- Lachen: in einer Pilotstudie zu Lachyoga zeigten die Teilnehmer unmittelbar bessere Stimmung und eine erhöhte HRV.
- Harmonisches Zusammensein, speziell von Eltern und Kindern, aktiviert messbar den Vagusnerv und fördert damit indirekt die Entspannung und Regeneration.
- Kalte Duschen und andere Kälte-Anwendungen bewirken offenbar, dass der Vagusnerv Neuronen aktiviert. Das wiederum hat eine erhöhte Aktivität des Parasympathikus zur Folge, besonders, wenn die Kälte-Reize über einen längeren Zeitraum angewendet werden. Dann erlernt der Organismus offenbar diese Reaktion und ruft sie bei Kältereizen automatisch ab.
- Probiotika, wie Lactobacillus rhamnosus, bewirkten eine Verminderung von Stresshormonen sowie Depressions- und Angstverhalten unter Einfluss des Vagusnervs. Auch mit Bifidobacterium longum wurde mittels des Vagusnervs das Angstverhalten gedämpft.
- Omega-3-Fettsäuren (besonders reichlich in fettem Fisch).
- Cholin, z.B. in Ei oder Geflügel, kann mit Beteiligung des Vagusnervs Schäden am Herz-Kreislauf-System verbessern.
- Leichte bis moderate Körperübungen stimulieren mittels gesteigerter Aktivität des Vagusnervs die Magenentleerung.
- Massage, beispielsweise Fußmassage. Bei Frühgeborenen kann Massage durch Stimulation des Vagusnervs die Gewichtszunahme unterstützen.
- Massage der Sinus-Karotiden an den Halsseiten kann sogar epileptische Anfälle unterdrücken. Diese Art der Massage sollte nur von fachtherapeutischem Personal durchgeführt werden.
- Stimulation des Ohres (durch Fachpersonal oder für den Laien hergestellte Geräte: elektrisch, möglicherweise auch mit dem Drücken der Finger oder kleiner Samen in der Cochlea) stimuliert ebenfalls den Vagusnerv.
- Fasten: Im Tierversuch führte Intervallfasten wie auch kalorienreduzierte Nahrungsaufnahme zu Abnahme eines Markers für die Sympathikus-Aktivität und zu einem Anstieg eines Markers für die Aktivität des Parasympathikus.
- Schlafen auf der rechten Seite: In einer Untersuchung der Auswirkung von Liegepositionen auf die autonome Nervenmodulation bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit wurde festgestellt, dass in der rechten Seitenlage die vagale Aktivität am höchsten und die sympathische Erregung am niedrigsten war.
- Elektromagnetische Felder: Die Einwirkung gepulster elektromagnetischer Felder für 20 Minuten führte zu einer schnelleren Erholung der Herzfrequenzvariabilität, besonders im sehr niedrigen Frequenzbereich nach körperlicher Belastung. Nachdem die Magnetfeld-Exposition beendet wurde, ließen die beschriebenen Wirkungen schnell nach.
- Das Peptid GLP aktiviert indirekt ebenfalls den Vagusnerv, sodass Stressreaktionen gedämpft werden.Wird die körpereigene GLP-1-Ausschüttung über die Ernährung angeregt, verstärkt sich dieser Effekt. Ballaststoffreiche Nahrung, Nüsse, Avocados und Eier erhöhen den GLP-Spiegel. Das könnte zugleich eine erfolgversprechende Strategie für die Behandlung von Adipositas und Typ-2-Diabetes sein.
Es mag nicht wirklich überraschen, dass Schlafstörungen, körperliche Inaktivität, Alkoholkonsum, proinflammatorische Ernährung sowie Rauchen als wesentliche Lifestylefaktoren aufgeführt werden.